Montag, 16. August 2021
Wie durch intelligente Kooperationen erfolgreich anwendbare KI-Modelle entwickelt werden. Ein Praxisbeispiel aus dem Hause der Zurich Gruppe Deutschland.
Versicherer beurteilen Technologien und Möglichkeiten im Schadenbereich häufig auf Basis des Schadendreiecks, bestehend aus Effizienz, Effektivität und Kundenzufriedenheit. Im Schadenfall hat Künstliche Intelligenz (KI) das Potenzial, in allen drei Bereichen gleichzeitig zu punkten. Denn durch den Einsatz von KI kann zum Beispiel die Dauer der Schadenregulierung maßgeblich verkürzt werden. Dadurch können die Ziele der Versicherer erreicht werden, nämlich Kosten- und Effizienzvorteile sowie eine verbesserte Kundenzufriedenheit.
Viele Versicherer haben das Potenzial bereits erkannt, schöpfen dieses aber trotzdem nicht gänzlich aus. Neben fragmentierten Lösungen, zu schmalen Edge Cases – gemeint sind zu eng definierte Spezialfälle – und mangelnden Datenkompetenzen fehlt es oft auch schlicht an der nötigen Portion Mut. So zeigt eine aktuelle Studie zum Reifegrad der Digitalisierung des Schadenmanagements deutscher Versicherer, dass KI-Lösungen zwar von mehr als zwei Dritteln der Befragten im Schadenmanagement eingesetzt werden, jedoch befindet sich die Hälfte davon noch in der Pilotierungsphase, während die andere Hälfte KI meist nur für einzelne Use-Cases einsetzt (zeb und Eucon, 2021). Hinzu kommt, dass Mitarbeitende oft skeptisch oder gar mit Widerstand auf KI-gesteuerte Prozesse reagieren (Bain & Company, 2021).
Entsprechend ist die gängige Praxis bei einer Vielzahl von Versicherern, dass jeder Schadenbeleg weiterhin manuell durch einen Sachverständigen oder Belegprüfer geprüft werden muss. Doch trifft das auch die gestiegenen Kundenanforderungen an Schnelligkeit und Effektivität? Um die vielversprechenden Chancen zu nutzen, müssen KI-Ansätze stärker forciert und noch konsequenter ins Tagesgeschäft überführt werden. Ein Versicherer, der den Schritt gewagt und erfolgreich umgesetzt hat, ist die Zurich Gruppe Deutschland.
Die Bündelung fragmentierter Vorhaben zu einer ganzheitlichen Digitalisierungsstrategie, die konsequente Integration von KI ins Tagesgeschäft sowie die erfolgreiche Transformation der Kernprozesse machen die Zurich Gruppe Deutschland zu einem Digitalisierungsvorreiter der Versicherungsbranche. Sie denkt Digitalisierung, Daten und KI weiter – konzernweit und über alle Prozesse – vor allem im Schadenbereich.
In diesem Zusammenhang hat Zurich eine zentrale cloud-basierte KI-Plattform etabliert. Darauf aufbauend hat Markus Troche, Head of Claims, gemeinsam mit Dr. Michael Zimmer, Chief Data Officer (CDO) der Zurich Gruppe Deutschland, ein Projekt für den Einsatz von KI-Modellen zur automatisierten Belegprüfung initiiert. Der nachfolgende Use-Case verdeutlicht, wie KI in der Versicherungspraxis erfolgreich eingesetzt werden kann.
„Aktuell lassen wir über Hunderttausend Belege teilautomatisiert inhaltlich prüfen und wissen, dass nur knapp 40% dieser Belege wirklich korrigiert werden müssen. Unser mittelfristiges Ziel ist es, die 60% nicht zu korrigierenden Belege mittels KI herauszufiltern. Das beschleunigt den Regulierungsprozess und macht den Kunden zufriedener. Zudem ersparen wir uns unnötige Prüfkosten.“
Markus Troche, Head of Claims, Zurich Gruppe Deutschland
USE-CASE: ERFOLGREICHER EINSATZ EINES KI-MODELLS ZUR AUTOMATISIERTEN BELEGPRÜFUNG
Was im ersten Moment einfach klingt, ist für viele eine Herausforderung. Zu verstehen, wie Daten und Texte intelligent erfasst sowie über unterschiedliche Schnittstellen hinweg ausgetauscht werden, erfordert Expertise in allen Bereichen: von der erforderlichen Technologie über die fachliche Kompetenz bis hin zur Implementierung. Eine intelligente Vorauswahl ist dazu der Schlüssel und KI macht es möglich.
Ziel des Projekts war der Aufbau sowie die Umsetzung eines KI-Modells zur automatisierten Belegprüfung und die Anbindung externer Partner im Data-, Analytics- und KI-Ökosystem. Analog der Strategie werden so Servicequalität und Kundenerfahrungen verbessert sowie Prozesse im Unternehmen agiler und schneller. Doch was sind die entscheidenden Aspekte zur erfolgreichen Realisierung eines KI-Projekts und wie gehen Versicherer im Allgemeinen bei Digitalisierungsvorhaben vor? Der CDO gibt Einblicke in das Projekt: von der Planung bis hin zur Umsetzung und dem Go-Live.
„Das aktuelle Projekt beschäftigt sich mit der Automatisierung der Belegprüfung durch KI, das ist aber nur ein Bruchteil von dem, was durch KI möglich ist. Uns als Versicherer bietet Künstliche Intelligenz große Potenziale, die wir bereits jetzt nutzen und zukünftig auf unserem Weg zur Insight Driven Insurance noch strategischer einsetzen wollen.“
Dr. Michael Zimmer, CDO, Zurich Gruppe Deutschland
Die Integration von KI im Tagesgeschäft wird teilweise noch immer kritisch betrachtet. Dabei bietet sie viele Chancen. Die Automatisierung der Belegprüfung ist erst der Anfang. KI ist vielseitig einsetzbar – und wenn man es richtig macht, ein absoluter Erfolgsfaktor, um sich im Wettbewerb zu positionieren und die Loyalität der Kunden zu steigern.
Zur erfolgreichen Umsetzung von KI-Modellen müssen Anforderungen definiert und ein Proof of Value (PoV) zur Überprüfung des Nutzens sowie der Machbarkeit durchgeführt werden. Durch eine gezielte Kombination von Bottom-Up- und Top-Down-Ansätzen werden sämtliche Ebenen – von operativ bis strategisch – aktiv in den Prozess integriert.
Die Planungen von Digitalisierungsvorhaben, vor allem im Bereich der KI, sind vielzählig. An der Umsetzung scheitert es indessen oft. Das Erstaunliche an diesem Beispiel? Bei dem Projekt handelt es sich nicht nur um ein Digitalisierungsprojekt, sondern auch um ein digitales Projekt. Für die Umsetzung des Projekts kam ein internationales Team zum Einsatz. Dank des ‘New Work‘ war es uns möglich, das Projekt über die Häuser hinweg remote durchzuführen. Diese Bündelung von internationalem Know-how und die Betrachtung aus unterschiedlichen Blickwinkeln führte zu unkonventionellen Lösungen und Innovationen.
„Um die entsprechenden Daten liefern zu können, braucht man das Wissen über die Schaden-, Sub- und Nebenprozesse sowie deren Abhängigkeiten zueinander. Wir verändern die Versicherungsbranche seit knapp 20 Jahren. Dadurch haben wir über Jahre unser Fachwissen erweitert und Prozesse perfektioniert.“
Philipp Kupka, Head of Sales, Eucon Digital GmbH
VERSICHERER LIEFERT QUALITATIVE DATEN, DIENSTLEISTSER SETZT DIESE GEWINNBRINGEND EIN
Neben dem Mut, der fachlichen Kompetenz sowie den technologischen Ausstattungen zur erfolgreichen Umsetzung eines Digitalisierungsprojektes braucht es Partner, die einen dabei unterstützen und begleiten. Versicherer und Dienstleister müssen Hand in Hand gehen, um die datengetriebene Digitalisierung erfolgreich voranzutreiben. Während Versicherer ihre Daten und Prozesse einbringen, unterstützen Dienstleister mit ihrem spezifischen Fach- und Expertenwissen wie beispielsweise zur Gutachtenprüfung. Das Projekt der Zurich Gruppe Deutschland wurde durch den Dienstleistungspartner Eucon begleitet und vom Head of Sales, Philipp Kupka, betreut. Doch was macht einen guten Dienstleister aus? Dienstleister müssen nicht nur Technologie- und Datenkompetenz besitzen, sondern eine tiefe fachliche und prozessuale Expertise aufweisen. Sie müssen verstehen, wofür das KI-Modell angewandt wird, und sich flexibel den Zielen und Anforderungen der Versicherer anpassen, um entsprechende Daten liefern zu können und über kundenindividuelle Schnittstellen nutzbar zu machen.
Erfolgreich ist KI nur dann, wenn eine Vielzahl an qualitativen Daten vorliegt. Ein weiterer zentraler Aspekt für den Erfolg von KI-Lösungen liegt darin, dass sich Dienstleister den individuellen Vorgaben der Versicherer anpassen. Außerdem braucht es für den Erfolg eine ganzheitliche Strategie. Jeder Versicherer hat andere Ziele – es gibt nicht das eine KI-Modell und auch nicht die eine Lösung. KI ist ein Konstrukt mit einer großen Bandbreite an Möglichkeiten, das in den gesamten Schadenprozess eingebettet werden muss. Nur so kann es erfolgreich eingesetzt werden.
SACHARBEITER WERDEN NICHT ERSETZT, SONDERN VON STANDARDTÄTIGKEITEN ENTLASTET
Der Einsatz von KI-Lösungen kann zu großen Vorteilen in der Schadenbearbeitung führen – und das schon ab der Schadenaufnahme, wenn die Schadenhöhe ermittelt werden muss. Der Einsatz von KI zur automatischen Bilderkennung stellt ein weiteres spannendes und wertvolles Themengebiet dar. So kann auf Basis der KI innerhalb kürzester Zeit eine Schadenhöhenschätzung, eine schnelle Rückmeldung an den Versicherungsnehmer sowie ein zielgerichtetes Routing erfolgen: zur fiktiven Abrechnung oder direkten Reparaturfreigabe beispielsweise. (Vgl. auch https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/de/Documents/Innovation/data-science.pdf)
Trotz der vielen Potenziale durch die Ausschöpfung von KI-Lösungen stehen noch immer viele Versicherer und deren Mitarbeitende KI-Modellen teilweise kritisch gegenüber. Durch ein gezieltes Change-Management müssen diese aktiv im Prozess integriert werden. Der Use-Case hat gezeigt, wie es funktioniert.
Durch die Kombination einer sauberen Datenstrukturierung und eines erprobten KI-Modells können Belege automatisiert verarbeitet werden, ohne dass ein Belegprüfer manuell tätig werden muss. Ziel ist es hier nicht, Sachbearbeiter zu ersetzen, sondern ihr Expertenwissen am richtigen Ort einzusetzen und sie von zeitaufwändigen Standardtätigkeiten zu entlasten. So können Aufwand und Bearbeitungszeit von einfachen Schadenfällen erheblich reduziert und die Konzentration auf komplexe Fälle gelegt werden. Die KI steht damit nicht über den Sachbearbeitern, sondern ist ein ergänzendes Konstrukt im Schadenmanagement. Dieser Gedanke ist noch nicht in den Köpfen aller Versicherer angekommen. Sie müssen umdenken, um den Zeitpunkt des Wandels anzugehen und ihn nicht zu verpassen.
KI-Lösungen sind ein neues Themenfeld, das die Versicherer vor komplexe Herausforderungen stellt: Funktionierende Prozesse müssen beibehalten und an den richtigen Stellen um KI ergänzt werden. Dafür müssen Versicherer Mut beweisen, Initiativen zu starten. Für eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie braucht es ein Management, das Projekte konsequent vorantreibt. Die Projekte müssen auf die übergeordnete Strategie der Versicherer einzahlen und in die prozessuale und technologische Infrastruktur eingebettet werden. Das geht nicht allein, sondern es braucht zuverlässige Partner, damit Ziele erreicht werden und KI erfolgreich eingesetzt werden kann.
KOOPERATIONEN STATT DER FRAGE „BUILD OR BUY“
Das wichtigste Take-away: Digitalisierungsstrategien müssen nicht immer nur auf die Frage „build or buy“ abzielen. Das Schlüsselwort lautet: Intelligente Kooperation – sowohl zwischen Versicherer und Dienstleister als auch zwischen Daten, neuester KI-Technologie und Expertenwissen. So machen Versicherer und Dienstleister gemeinsam den nächsten Schritt im Schadenmanagement.
Erstveröffentlichung in der Versicherungswirtschaft Ausgabe 8/2021.
Verfasst von Markus Troche, Zurich Gruppe Deutschland, Dr. Michael Zimmer, Zurich Gruppe Deutschland und Philipp Kupka, Head of Sales Eucon Digital GmbH