Montag, 20. Juni 2022
Künstliche Intelligenz (KI) hat es nicht leicht im Schadenmanagement. Sie stößt immer noch auf viele Vorbehalte und wenig Geduld. Dabei bleibt festzuhalten, dass sie dennoch eine conditio sine qua non für das erfolgreiche digitale Schadenmanagement der Zukunft ist. Ohne den erweiterten Einsatz von KI werden wir Effizienzpotenziale nicht realisieren und vielen Anforderungen an die Customer Experience nicht gerecht werden können. Erschwerend kommt hinzu, dass der demografische Wandel den operativen Schadenbereich überproportional in Mitleidenschaft ziehen wird. Um die Digitalisierung führt demnach auch aus personalstrategischen Gesichtspunkten kein Weg herum. Wie kann also der Weg zu KI als integraler Bestandteil eines digitalen Schadenprozesses gelingen? Mithilfe von Augmented Intelligence, der „erweiterten“ Intelligenz.
Jeder Change-Prozess stellt alle Beteiligten vor Herausforderungen. Die Umsetzung von Veränderung, bei der vielleicht noch die Befürchtung mitschwingt, der eigene Arbeitsplatz sei in Gefahr, kann zu einer äußerst schwierigen Aufgabe werden. Wenn der Ansatz zudem von vielen Iterationen und mancher Enttäuschung gekennzeichnet ist, scheint die Aufgabe unlösbar. Und so scheitern auch viele Versuche, KI erfolgreich einzusetzen, schon im Proof of Concept. Wie verhilft man der KI aus ihrem schweren Stand?
Vorbehalte „auftauen“
„Unfreezing“ ist im Change-Management die erste Phase des „Auftauens“. In dieser Phase werden die Mitarbeitenden von der Notwendigkeit des Veränderungsprozesses überzeugt und ein Veränderungsbewusstsein geschaffen. Die Notwendigkeit ist augenfällig: Es führt kein Weg um Digitalisierung und damit auch den Einsatz von KI herum, weil der Markt mittelfristig analoge Prozesse scheitern lassen wird. Ein Schadenmanagement, das sich den Markterfordernissen nicht anpasst, wird über kurz oder lang vom Wettbewerb eingeholt. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist demografischer Natur: Bis 2040 wird sich die Babyboomer-Generation in den Ruhestand verabschieden. Der Schadenbereich ist überproportional betroffen, da der Altersdurchschnitt hier sehr hoch ist. Die Einarbeitung gerade in komplexe Schadenbearbeitung ist sehr aufwändig. Sofern nicht rechtzeitig Vorkehrungen getroffen wurden, gehen dem operativen Schadenmanagement Wissen und Erfahrung verloren. Eine Vorkehrung kann der Einsatz intelligenter Technologien leisten, die den Schadensachbearbeiter bei der Entscheidungsfindung unterstützen und ihn gleichzeitig um wenig wertschöpfende Tätigkeiten entlasten.
Mit welcher Erwartungshaltung kann man sich intelligenten Technologien nähern? KI ist kein Allheilmittel und ihr Einsatz sollte immer dem jeweiligen Zweck gerecht werden. KI liegt nicht zu 100 Prozent richtig. Sie muss ihrerseits „intelligent“ trainiert werden, damit sie funktioniert und möglichst wenig Leakage-Fälle auftreten. Operationalisierung von Machine Learning zwischen IT und Fachbereichen ist noch komplexer als „normale“ DevOps. Aber hat sie einmal einen performanten Zustand erreicht, so liefert sie riesige Effizienzvorteile. Und: Nicht jeder KI-Ansatz ist dazu angelegt, den Menschen aus dem Prozess zu nehmen.
Augmented Intelligence – ein vielversprechender Ansatz, der auf die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine angelegt ist
Augmented Intelligence analysiert und sortiert beispielsweise. Daten, bereitet sie auf und stellt sie Menschen als situativ passende Entscheidungsvorlage zur Verfügung. Durch einen Machine-Learning-Ansatz können zum Beispiel Muster aus großen Mengen von strukturierten und unstrukturierten Daten gebildet und aufbereitet werden, die für menschliche Experten nicht oder nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand erfassbar sind. Damit verbessert sich in Prozessen die Basis, auf der Menschen Entscheidungen treffen, enorm. Diese können sie deutlich schneller und fundierter fällen sowie datenbasierte Antworten auf anspruchsvolle Fragen geben. Augmented Intelligence ergänzt und unterstützt das menschliche Know-how also signifikant und sinnvoll und trifft – im Gegensatz zu autonomer Künstlicher Intelligenz – keine selbstständigen Entscheidungen.
Augmented Intelligence im Schadenmanagement
Betrachten wir Prozesse im Schadenmanagement, zeigt sich, dass sowohl Versicherer als auch deren Mitarbeitende und Kunden durch den Einsatz von Augmented Intelligence profitieren. Versicherungsunternehmen haben erkannt, dass der Einsatz von vereinzelten KI-Software-Lösungen, zum Beispiel bei der Dokumenten-Erkennung, allein keinen zusätzlichen Mehrwert mehr bringt. Der Schlüssel zum weiteren Erfolg heißt: Weg von „Black Box“-KI-Software und hin zur erweiterten Intelligenz, bei der die Mitarbeitenden am KI-Lebenszyklus beteiligt werden und weiterhin ein integraler Bestandteil im operativen Prozess sind.
Die Stärke von Augmented Intelligence besteht darin, Mitarbeitende bei komplexen Aufgaben intelligent zu unterstützen und ihnen anspruchsvolle Fleißanalysen und Recherchearbeit abzunehmen. Indem sie relevante Informationen automatisiert verarbeitet und interpretiert, wird der gesamte Schadenprozess verschlankt und optimiert. Der Sachbearbeitende kann zügiger gute Entscheidungen treffen und die gewonnene Zeit für weitere wichtige Tätigkeiten nutzen. Dem Kunden kommt die Kollaboration von Mensch und Maschine wiederum zugute, weil sie seine Wartezeit erheblich reduziert.
Lohnend erscheint der Einsatz von Augmented Intelligence zum Beispiel im Bereich Dubiosschäden. Hier hilft Augmented Intelligence, auffällige Fälle schnell und stichhaltig zu identifizieren, unter Bereitstellung und Aufbereitung der Anhaltspunkte. Damit begutachtet und entscheidet der Sachbearbeitende im weiteren Verlauf viel fokussierter, wie mit dem Verdachtsfall verfahren wird. Seine Entscheidung spielt er außerdem dem System strukturiert zurück, das wiederum aus diesem Feedback lernt. Effiziente und transparente Schadenregulierung sowie schnelle Prozesse beim Kunden sind das Resultat.
Erweiterte Intelligenz als Vehikel digitaler Transformation
Es wird Zeit, dass Versicherer die Kombinationen von KI und menschlicher Expertise als strukturelles Modell für die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen stärker nutzen. Dies gelingt durch die Schaffung echter Mehrwerte mit den beteiligten Menschen im Mittelpunkt und die Integration in gleichermaßen modern gestaltbare Prozesse und Systeme. Durch den kollaborativen und transparenten Ansatz hilft Augmented Intelligence, KI als unterstützendes System zu erkennen und anzunehmen. Außerdem entspricht sie den regulatorischen Anforderungen an die KI besser, ohne ein „Workaround“ aus Verlegenheit zu sein. Sie löst damit an vielen Stellen Vorbehalte auf und schafft die Voraussetzung, KI insgesamt als festen Bestandteil einer digitalen Transformation weiter zu etablieren. Eine fortgeschrittene Digitalisierung und ein intelligentes System, das die Mitarbeitenden unterstützt, stellt wiederum die passende strategische Antwort auf den fortschreitenden demografischen Wandel und die sich verändernden Kundenbedürfnisse dar. Augmented Intelligence ist damit ein wichtiges Instrument eines jeden Versicherers im Baukasten des digitalen Schadenmanagements der Zukunft.
Der Artikel ist am 15. Juni 2022 im Themendossier der Versicherungsforen zum Thema "KI & Big Data in der Versicherungsbranche" erschienen.
Verfasst von Eucon Group